Wo ist das Problem?



Normofrequenter Sinusrhythmus, 75 /Minute, PR-Intervall konstant bei ca. 160 ms. Überdrehte Linkslage, QRS-Dauer 80 ms, keine pathologischen Q-Zacken, frühe R-Progression mit R/S-Umschlag zwischen V1 und V2, keine S-Persistenz, signifikante ST-Strecken-Hebungen im J-Punkt in I (0.3 mV), aVL (0.4 mV), V2 (0.4 mV), V3 (0.5 mV), V4 - V6 (ca. 0.1 mV), ausgeprägte ST-Strecken-Senkungen in den inferioren Ableitungen, QT-Zeitc 393 ms (Bazett) bzw. 382 ms (Friderica).

 

Bei stabilem Rhythmusbild liegt somit ohne Zweifel ein akutes Koronarsyndrom vom Typ STEMI vor. Die Lokalisationsbeurteilung mit Frage nach dem primär betroffenen Gefäß (Culprit artery) ist dabei aus dem Oberflächen-EKG oft unzuverlässig, eine grobe Einschätzung kann jedoch relevant für die Akuttherapie sein (z.B. RV-Beteiligungen bei inferioren Ischämien). Im vorliegenden Beispiel sind die Signifikanzkriterien für ST-Strecken-Hebungen in I, aVL, V2 und V3 erfüllt. Dies entspricht den Regionen lateral (I, aVL, V5, V6) sowie anteroseptal (V2, V3, V4). Bei regulärer Koronaranatomie wird damit eine Stenose im Stromgebiet der linken Koronararterie (LCA) und dort vorwiegend im Bereich des RIVA erwartet.

Für diejenigen, die es noch genauer wissen möchten, geht es weiter in die Tiefe: Stenosen des RIVA lassen sich grob in hohe, mittlere und tiefe Lokalisationen differenzieren. Bei proximalen Läsionen beginnt die Ischämie bereits in den anterobasalen Septumabschnitten. Der Hauptverktor der Ischämie ist somit nach cranial und ventral gerichtet, folglich resultieren ST-Hebungen in aVL, aVR und V1. Bei RIVA-Stenosen in den mittleren Abschnitten können verschiedene Bilder resultieren, da hier die individuelle Anatomie der Abgänge von Septal- und Diagonalästen entscheidend für das Infarktgebiet ist. Vorwiegend septale Ischämien zeigen ST-Hebungen in V1 bis V4 und III sowie ST-Senkungen in aVL. Läsionen im Bereich der Diagonaläste führen zu Ischämievektoren nach antero-lateral mit ST-Hebungen in V2 bis V6 sowie I und aVL. Weiterhin werden reziproke ST-Senkungen inferior erwartet. Das EKG dieses Beispieles entspricht am ehesten diesem Bild, wobei folgende Aspekte interessant sind:

1. Die signifikanten ST-Hebungen in I und aVL mit ebenfalls ausgeprägten reziproken Senkungen in den inferioren Ableitungen zeigen, dass hier nicht eine bloße Vektorprojektion, sondern tatsächlich eine hoch laterale Ischämie vorliegt.

2. Der laterale Bereich wird nicht nur durch I und aVL, sondern auch durch V5 und V6 repräsentiert. Die letztgenannten zeigen im aktuellen Beispiel jedoch vergleichsweise nur gering ausgebildete Erregungsrückbildungsstörungen. Die Ischämie scheint sich also recht selektiv nach hoch-lateral auszubreiten.

 

Und damit zur Lösung des Rätsels: Im beschriebenen Fall zeigte sich in der Koronarangiographie eine subtotale Stenose eines kräftigen ersten Ramus diagonalis (Rd1), also einem hohen Abgang des RIVA. Daraus resultierte eine ausgeprägte Ischämieregion, welche sich von anterior nach hoch-lateral ausbreitete. Durch Ballondilatation und Einlage von 2 DES konnte eine vollständige Rekanalisation erreicht werden.

Die überdrehte Linkslage entspricht auch ohne QRS-Verbreiterung formal einem linksanterioren Hemiblock. Die sonstige Erregungsausbreitung über der Vorderwand passt hierzu jedoch nicht eindeutig. Ob die Veränderungen im Rahmen der akuten Ischämie neu aufgetreten sind (ischämiebedingte Blockierung des linksanterioren Faszikel oder lokale Reizleitungsreduktion im Infarktgebiet) ist ohne Vor-EKGs kaum zu beurteilen.

 

 

Eine dreidimensionale Darstellung der EKG-Ableitungen samt Koronaranatomie entwickeln wir in unseren Kursen während unserer "Bastellstunde". Interesse? Dann geht es hier weiter ...