Anna Weber, 83, V.a. Urosepsis.

83jährige Patientin im Pflegezentrum, telefonische Einweisung durch den Hausarzt bei Verdacht auf Urosepsis. Die Darstellung beschreibt die Situation bei Eintreffen des Rettungsdienstes.

Gemäß Fremdanamnese (Pflegepersonal) bestehen seit 3 Tagen Beschwerden in Form von Dysurie, Diarrhoe und intermittierenden Temperaturanstiegen bis 39°C. Bei Verdacht auf einen akuten Harnwegsinfekt wurde am Vortag mit einer oralen Antibiose (Co-Amoxi-Mepha 500/125mg 1-1-1) begonnen. Bei ansonsten normotonen Blutdruckwerten wurden im Laufe des heutigen Tages wiederholt Werte um 90/60mmHg gemessen. Weiterhin habe die Patientin in dieser Zeit über gelegentlichen Brustschmerz geklagt, welcher auf telefonische Anordnung des Hausarztes erfolgreich mit Nitrolingual-Spray behandelt wurde (genaue Gesamtdosis unklar). Laut Medikamentenliste nimmt die Patientin dauerhaft Digoxin, ASS, Magnesiocard, Calcimagon und Seroquel ein. Eine entsprechende Diagnoseliste ist nicht vorhanden, die Auskünfte über vorbestehende Erkrankungen sind unzureichend, Allergien sind nicht bekannt.

 

A: Frei.

B: AF 16/min, vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, SpO2 Signalstörung.

C: Puls peripher schwach tastbar, RCT 2 Sekunden, RR 88/56mmHg, klinisch keine Stauungszeichen.

D: GCS 11 (A3/V3/M5), alle Extremitäten beweglich, Pupillenstatus unauffällig, BZ 19,1mmol/l.

E: Körpertemperatur tympanal 37,1°C.

 

Der angeschlossene Überwachungsmonitor meldet, neben der Hypotonie, einen Herzfrequenzalarm bei einer Frequenz von 50/min und druckt automatisch einen Rhythmusstreifen. Wie bewertet ihr den aktuellen Rhythmus und die Gesamtsituation. Welche Maßnahmen sind notwendig?


Der Fall beschreibt die nicht seltene Situation einer eher unspezifischen Einsatzmeldung, die sich vor Ort anders als erwartet präsentiert. Bei allen gegebenen Informationen geht es hier vor allem darum, den aktuellen Zustand schnell einzuschätzen, Bedrohungen zu erkennen und die notwendige Therapie einzuleiten.


A: OK.

B: Ventilation OK, keine klinischen Hinweise auf ein primär respiratorisches Problem.

C: KRITISCH! Ausgeprägte Bradykardie mit konsekutiver Hypotonie und Minderperfusion.

D: Keine Hinweise auf ein primär neurologisches Problem.

E: OK.


Es liegt ein C-Problem auf Grundlage einer ausgeprägten Bradykardie vor.

Rhythmusanalyse:


1.: Geordnete Kammeraktivität.

2.: Frequenz ca. 25/Minute*.

3.: QRS grenzwertig verbreitert bei 120ms.

4.: QRS regelmäßig.

5.: Monomorphe P-Wellen, rhythmisch, Frequenz ca. 80/min.

6.: Keine Kopplung zwischen Vorhöfen und Kammern.


*: CAVE! Hier war die vom Monitor angegebene Herzfrequenz mit 50/Minute falsch, da das Analysesystem die hochamplitudigen T-Wellen fälschlicherweise als Kammerkomplexe registriert hat.


Hier liegt ein drittgradiger AV-Block vor. Wegweisend sind jeweils regelmäßige Vorhof- und Kammeraktionen mit unterschiedlichen Frequenzen und stark schwankenden „PQ-Zeiten“. Die Frequenz des Ersatzrhythmus sowie die dezente QRS-Verbreiterung spricht für einen Ursprung im ventrikulären Reizleitungssystem.


Die Therapie folgt den aktuellen Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften und besteht im gegebenen Fall aus einem initialen Atropin-Versuch sowie dem frühzeitigen Einsatz eines externen Pacers (mehr dazu unter http://resuscitation-guidelines.articleinmotion.com/article/S0300-9572%2810%2900443-0/aim/4g-peri-arrest-arrhythmias).


Bezüglich der Ursachen des aktuellen Zustandes von Frau Weber lässt sich präklinisch allenfalls spekulieren. Die Diagnosen bei Austritt aus dem Spital lauteten folgendermaßen:


1. Enterobakter-assoziierte Urosepsis, unter Therapie mit Norfloxacin.

2. Acute on chronic Niereninsuffizienz.

3. Hyperkaliämie, am ehesten im Rahmen Diagnose 2.


Macht euch an diesem Beispiel noch einmal klar, dass automatisierte Auswertungen hilfreich sein können, jedoch auch immer potenzielle Fehlerquellen darstellen. Nicht zuletzt deshalb solltet ihr auch ohne technische Hilfsmittel in der Lage sein, die Herzfrequenz auf einem Rhythmusstreifen sicher bestimmen zu können.