AZ-Verschlechterung



Rhythmusanalyse:

1. Elektrische Aktivität ist vorhanden - aus der Fallbeschreibung ging hervor, dass kein Kreislaufstillstand vorliegt.

2. Die Kammerfrequenz liegt bei etwa 50 pro Minute.

3. Die Kammerkomplexe sind eindeutig verbreitert.

4. Die Kammerkomplexe sind arrhythmisch.

5. Die Frage nach einer sichtbaren Vorhofaktivität ist (wie so oft) nur schwer zu beantworten. Auf den ersten Blick scheinen vor allem in den inferioren Ableitungen monomorphe P-Wellen den Kammerkomplexen vorauszugehen. Bei den schwer deformierten Kammerkomplexen lässt sich jedoch nicht differenzieren, ob es sich hierbei nicht auch um initiale Anteile der QRS-Komplexe handelt. Dafür spräche die in diesem Fall verkürzte PQ-Zeit sowie die absolute Unregelmäßigkeit der mutmaßlichen P-Wellen.

6. Wenn eine Vorhofaktion nicht sicher erkennbar ist, lässt sich keine Aussage über die atrioventrikuläre Leitung machen.

In der Summe ist in diesem kurzen Ausschnitt also keine eindeutige Rhythmusdiagnose nachweisbar. Ein ventrikulärer Ursprung im Sinne eines Ersatzrhyhmus ist aufgrund der absoluten Arrhythmie ebenfalls eher unwahrscheinlich. Somit wird von einem supraventrikulären Ursprung ausgegangen - bei nicht eindeutig erkennbaren P-Wellen und absoluter Arrhythmie ist bis zum Beweis des Gegenteils von einem Vorhofflimmern auszugehen („Häufiges ist häufig“).

 

BLiQ-12-Kanal-Analyse:

B: Wie bereits erkannt, sind die QRS-Komplexe deutlich verbreitert. Bein Annahme eines supraventrikulären Ursprunges wird eine intraventrikuläre Erregungsleitungsstörung angenommen. Die Morphologie der Kammerkomplexe passt aber weder zu einem Links-, noch zu einem typischen Rechtsschenkelblock. Es bleibt die Möglichkeit einer diffuse intraventrikulären Reizleitungsstörung.

L: Je nach Messung kann der Lagetyp als Steil- oder Rechtsyp bestimmt werden - bei den deformierten QRS-Komplexen ist auch diese Aussage eher fraglich.

i: Bei nicht beurteilbaren ST-Strecken sind multiple T-Negativierungen sichtbar.

Q: Die genaue Bestimmung der QT-Zeit bei verbreiterten und arryhrythmischen Kammerkomplexen ist nur mit größerem Aufwand (Mittelung mehrerer Messungen und mathematische Korrektur der QRS-Verbreiterung) möglich. 

 

Insgesamt wird die EKG-Beurteilung durch die deutliche Deformation der Kammerkomplexe stark beeinträchtigt, so dass eigentlich alle Analyseschritte nicht sicher beurteilbar sind. Dass das EKG hier jedoch eindeutig pathologisch ist, fällt jedem Betrachter auf den ersten Blick auf. Die Lösung des Rätsels kommt aus dem Labor: Bei akutem Nierenversagen und metabolischer Azidose liegt der Serumkaliumspiegel bei 7,8 mmol/l.

 

Das Ruhemembranpotenzial und damit die Erregbarkeit von Zellen werden entscheidend durch den extrazellulären Kaliumspiegel beeinflusst. Dabei liegt die extrazelluläre (und damit im Blut messbare) Kaliumkonzentration mit 3,5 - 5,0 mmol/l deutlich unter den intrazellulären Werten.

 

Ursachen für Veränderungen des Kaliumspiegels sind vielfältig. Einige Beispiele für einen Anstieg des Serumkaliums sind Zellzerfall (Tumore, Hämolyse, Muskelverletzungen), Medikamente (Kaliumsparende Diuretika) oder eine verminderte Ausscheidung über die Nieren (akutes und/oder chronisches Nierenversagen).

Durch den Anstieg des extrazellulären Kaliumspiegels sinkt die Differenz zwischen intra- und extrazellulärer Kaliumkonzenration. Dies hat verschiedenste Folgen:

 

Da das Ruhemembranpotenzial (RMP) wesentlich von diesem Gradienten abhängig ist, sinkt das RMP mit steigendem Kaliumspiegel. Die Folge ist also eine langsame Depolarisation der Zellen. Dies begünstigt Ektopien im Bereich des Myokardes, es kommt zu ventrikulären Extraysolen. Gleichzeitig werden durch die langsame Depolarisation zunehmend schnelle Natriumkanäle inaktiviert - die Erregungsausbreitung über das Myokard verzögert sich und im EKG erscheinen diffus verbreiterte Kammerkomplexe. Im Bereich des Vorhofmyokardes sind die Verhältnisse ähnlich - es resultieren flache bis nicht sichtbare P-Wellen. Die erhöhte extrazelluläre Kaliumkonzentration steigert die Kaliumleitufähigkeit über die Zellmembran, was zu den typischen „zeltförmigen“ T-Wellen mit oft verkürzter QT-Zeit führt - auch wenn diese Veränderungen im aktuellen Beispiel nicht wirklich gut sichtbar sind. Eine weitere Folge der erhöhten Kaliumleifähigkeit betrifft vor allem die Schrittmacherzellen: Da mit den Kaliumströmen die repolarisierenden Kräfte zunehmen, werden die spontanen diastolischen Depolarisationen (also letztendlich die Schrittmacherakivität von beispielsweise Sinusknotenzellen) inhibiert. 

 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Durch eine Hyperkaliämie wird die Erregungbildung und -ausbreitung auf verschiedenen Wegen gestört, wobei gleichzeitig die Gefahr von Ektopien steigt (was zunächst paradox klingt). Vor allem aufgrund des proarrhytmischen Potenzials sind Kaliumstörungen bedrohlich und müssen früh erkannt und behandelt werden. Das EKG dient dabei nicht der Diagnose (die kommt über Labor und Blutgasanalyse), ist jedoch hilfreich, um zu beurteilen ob eine Hyperkaliämie bereits Auswirkungen auf die kardialen Erregungsprozesse hat.

Im Vorliegenden Fall war dies eindeutig zutreffend. Nach Notfallbehandlung mit Calcium, Beta-Inhalativa und Insulin-Glukose-Infusionen wurde mit einer Dialyse begonnen. Mit hierunter Normalisierung des Kaliumspiegels waren auch die EKG-Veränderungen rückläufig.